Wieso deine Scham dich aufhält

Scham – ein Gefühl mit dem ich mich in den letzten Wochen vermehrt beschäftigt habe. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung ist mir bewusst geworden, welchen Einfluss dieses Gefühl auch auf mein Leben hat, obwohl ich bis dato nicht gesagt hätte, dass ich dazu neige, mich oft zu schämen.

Doch auch mich blockiert dieses Gefühl. Dieses Gefühl, Erwartungen anderer nicht erfüllt zu haben oder entgegen gesellschaftlicher Normen zu handeln und dementsprechend vom Umfeld, der Gesellschaft beurteilt oder gar verurteilt zu werden.

 

Scham als gesellschaftliches Instrument

Wenn man einmal darüber nachdenkt, ist Scham, das perfekte Instrument, um ein (gesellschaftliches) System, eine Ordnung aufrechtzuerhalten. Wer aus diesem System ausschert, dem wird vermittelt, dass er oder sie Scham dafür empfinden sollte. Oder die betreffende Person schämt sich aufgrund der eigenen (erfolgreichen) Sozialisation von ganz allein für ihr Verhalten.

Im Fall von Mord, sexuellem Missbrauch, Gewalt im Allgemeinen oder Diebstahl mag die Angst vor dem Gefühl der Scham, aber vor allem dem der Schuld deshalb noch ein Stück weit abschreckend wirken. Womit sie in diesen Fällen sehr wohl einen guten Zweck erfüllt. In den allermeisten Fällen, nämlich im ganz normalen Alltag, tut dieses Gefühl vor allem eines, es blockiert uns.

Wir fühlen uns dann beschämt, verlegen und blossgestellt. Empfindungen, die niemand besonders schätzt. Doch gerade deshalb erfüllt die Scham auch in alltäglichen Situationen ihren Zweck – sie erinnert uns daran, nicht aus den gesellschaftlichen Normen auszubrechen.

Das heisst, im Sinne der Gesellschaft ist es, zumindest auf den ersten Blick, sinnvoll, dass in solchen Momenten ebenso Scham empfunden wird, um bei einem nächsten Mal der gesellschaftlichen Normen entsprechend zu handeln und auf diese Weise das Empfinden von Scham zu umgehen.

Doch tatsächlich nur auf den ersten Blick, wie ich finde. Denn spätestens auf den zweiten Blick merkt man, dass die Welt nicht nur ziemlich langweilig wäre, wenn alle immer nur versuchen würden, nicht aus der Masse herauszustechen, sondern auch, dass es keinen Fortschritt, keine Weiterentwicklung geben würde, wenn wir uns immer nur in den gleichen Bahnen bewegen würden.

 

Scham & Enttäuschung

Wir verspüren Scham, wenn wir das Gefühl haben, Menschen enttäuscht zu haben.

Wir empfinden Scham, da wir eine Leistung nicht erbracht haben, die man von uns erwartet hat oder wir schämen uns, weil wir uns von den meisten anderen unterscheiden. Wir fühlen manchmal Scham, weil wir das Gefühl haben, negativ aufzufallen, wenn wir unsere Meinung äussern.

Der Eindruck, der neben dem Schamgefühl zurückbleibt, ist doch: Ich habe versagt. Diese Empfindung des Versagens ist nicht selten mit dem Gefühl gepaart, man hätte deshalb an Wert verloren.

Aber hast du wirklich versagt, bist du wirklich weniger wert, weil du eine Aufgabe nicht zu 100% perfekt erfüllt hast? Verlierst du tatsächlich an Wert, da du Fehler machst, eine Prüfung nicht bestanden oder einen Job nicht bekommen hast?

Bist du weniger wertvoll, wenn du dein Strahlen zeigst, wenn du tanzt als würde dich niemand beobachten, wenn du dich anders anziehst, wenn du andere Ansichten hast oder neue Wege einschlägst?

Nein, natürlich nicht!

 

Du darfst Fehler machen und du darfst auch enttäuschen.


Es ist unmöglich, die Erwartungen aller zu befriedigen und das sollte auch gar nicht dein Ziel sein. Unsere Perfektion liegt darin, dass wir alle eben nicht perfekt sind.

Und dazu gehört:

Zu enttäuschen.

Für mich als eine Person, die sich wünscht, dass es allen Menschen in ihrem Umfeld gut geht und dass ihre Bedürfnisse erfüllt werden, war es eine unglaublich wichtige Erkenntnis, dass ich Menschen enttäuschen darf. Dass es völlig okay ist, nicht all den Erwartungen gerecht zu werden, die an mich gestellt werden.

Es ist weder meine, noch deine Aufgabe, die Menschen in unserem Umfeld glücklich zu machen, indem wir stets tun, was sie sich von uns wünschen, ohne kurz innezuhalten und herauszufinden, wie sich das eigentlich für uns anfühlt.


Deine Aufgabe ist es, auf dich aufzupassen und dein eigenes Glück nicht beim Versuch, es allen recht zu machen, zu verheizen.


Das Gleiche gilt übrigens auch für deine Einzigartigkeit. Es wird immer Menschen geben, die diese nicht zu schätzen wissen. Auch in meinem Leben gab es immer mal wieder Menschen, denen meine Pläne zu gross, meine Schuhe zu hoch, meine Stimme zu laut, meine Outfits zu auffällig und meine Ansichten zu krass waren.

Noch vor ein paar Jahren habe ich deswegen damit angefangen zu versuchen, mich zurückzunehmen und weniger mein wahres Ich zu zeigen, um ja nicht aufzufallen. In unsicheren Momenten neige ich manchmal heute noch dazu.

 

But guess what?

 

Das ist eine ziemlich blöde Idee. Denn bei dem Versuch, uns anzupassen, verlieren wir uns selber, wissen irgendwann selber nicht mehr, wer wie eigentlich sind und quälen uns mit Fragen herum, wie: «Bin ich okay so, wie ich bin?».  

Aus heutiger Sicht muss ich ebenso sagen, dass es einfach unnötig ist, sein wahres authentisches Ich zu verstecken, denn so pathetisch es auch klingen mag, aber:

 

Deine Einzigartigkeit ist deine Superkraft.

 

Niemand ist so wie du und das musst du doch für dich nutzen und deine Besonderheiten nicht aus Angst vor Ablehnung verstecken, denn diese Besonderheiten sind es doch gerade die die Welt sehen muss.

 

Tanz genauso, wie du dich fühlst, egal wer zuschaut und egal was sie sagen.

Zieh an worauf du Bock hast, auch wenn deinen Nachbarn die Kinnlade herunterklappt.

Sei frech, sei laut, lass dir weder deine Meinung, noch den Mund verbieten. (Das gilt ganz besonders für alle Ladies da draussen, denn die Gesellschaft will uns noch immer klarmachen, dass Frauen vor allem hübsch sein und am besten keine zu starke Meinung haben sollen.)

Steh zu deinem Körper, auch wenn er von den, in der Gesellschaft verbreiteten Vorstellungen abweicht, denn er ist perfekt so, wie er ist.

Zeige deine echten Gefühle, versteck dich nicht und zeige nicht nur das Glück und die Freude, sondern auch die Wut und die Trauer oder was immer du gerade fühlst.

 

Es geht auch anders

Wenn du neue Wege gehst, dann wird es immer Menschen geben, die den Drang verspüren, dies zu be- oder verurteilen oder zu kommentieren.

Unter ihnen gibt es diejenigen, die tatsächlich uncool finden, was du tust und das ist völlig in Ordnung, du kannst und musst nicht jeden glücklich machen. Wie gesagt, du darfst enttäuschen, indem du beispielsweise von gesellschaftlichen Vorstellungen abweichst.

Es gibt allerdings auch diejenigen, die nach aussen hin zwar ablehnen, was du tust, die durch dich aber insgeheim daran erinnert werden, dass es auch andere Wege abseits der Autobahnen und Schnellstrassen des Lebens gibt und dass man diese gehen könnte.

Sie verspüren dann vielleicht Neid, da sie auch gerne einmal einen anderen Weg nehmen oder etwas in ihrem Leben verändern wollen würden, aber es sich nicht zutrauen. Vielleicht verspüren sie auch eine gewisse Traurigkeit, weil du zeigst, dass es anders gehen könnte, aber für sich das Gefühl haben, dass für sie der Ausweg zu weit entfernt ist. 

 

Du bist die Erinnerung daran, dass es auch anders geht, dass man sein Leben nicht nach der gesellschaftlichen Norm gestalten muss.

 

Indem man dir nun vermittelt, dass es uncool, peinlich, schlecht oder was auch immer ist, was du tust, wird bei dir möglicherweise ein Gefühl der Scham ausgelöst. Auf diese Weise wird versucht dich klein zu halten und die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten.

Wenn man hingegen einfach nur anerkennen würde, was du, ein Mensch mit einer Geschichte und einem Weg, tust, dann würde es im Umkehrschluss bedeuten, dass jede und jeder das schaffen könnte. Also auch die Personen, die dich kritisieren.

Das wiederum würde bedeuten, dass man seine Comfort Zone verlassen und in die Eigenverantwortung gehen müsste. Doch nur die wenigsten wollen dies, denn es würde Anstrengung mit sich bringen.

Deswegen verbleiben die meisten Menschen in den gewohnten Gefilden und kritisieren diejenigen, die diese verlassen und halten so die bereits existierende gesellschaftliche Ordnung aufrecht.

 

Unabhängigkeit

Meiner Ansicht nach ist der beste Weg gegen Scham, deine Unabhängigkeit.

Mach dich unabhängig von den Vorstellungen und Ansichten anderer und steh zu dir. Liebe sich selbst, denn wenn du dir bewusst machst, wer du bist und dass du liebenswert bist, dann schwindet auch langsam deine Angst davor, für die Person, die du bist, nicht geliebt zu werden.

Konzentriere dich weniger auf diese Angst, sondern darauf, gut zu dir zu sein und auf deine Freude daran, Dinge zu erschaffen und das Leben zu kreieren, dass deinen Vorstellungen entspricht. Deine Angst vor der Scham oder auch die Scham an sich, sind in den meisten Fällen keine guten Beraterinnen. Sie engen dich nur ein und berauben dich deines Mutes, deiner Kreativität und deiner Schöpferkraft.

Ausserdem kannst du nur etwas verändern, indem du neue Wege gehst und diese Wege zu gehen, wird von aussen meist kritisch beäugt, das gehört zu ihnen dazu.

Also lass dich davon nicht beirren und gehe deines Weges.


Für diese Reise möchte ich dir zwei Mantren mit auf den Weg geben:

 

Ich darf enttäuschen.

Ich darf anders sein.

 

Nutze sie für dich, wiederhole sie regelmässig gedanklich oder verbal und du wirst merken, dass du mit der Zeit, mehr zu dir, deinen Ansichten und deinem Leben stehen und deine Scham ziehen lassen wirst.

 

Fällt es dir schon leicht dein Ding durchzuziehen oder hält dich die Meinung anderer oder deine Scham noch zurück?

 

Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen.

 

Alles Liebe,

Deine Anna

 

 

Photos by Marc Kästner