5 Dinge, die ich im Vipassana fand, die ich nicht erwartete

Der Blick aus unserem Badfenster, eine dieser kleinen Freuden in unserem Vipassana-Alltag.

Ende Januar ging es für mich für 10 Tage in ein Meditationscenter in der Nähe von Anuradhapura in Sri Lanka, um dort die Vipassana-Meditationstechnik zu erlernen und jeden Tag bis zu 12 Stunden zu meditieren. Untergebracht waren wir in sehr einfachen Unterkünften, wobei Männer und Frauen in separaten Bereichen lebten.


Die Regeln

Eine Regel, die man während des Aufenthalts einhalten musste, war es neun der zehn Tage lang zu schweigen. Das heisst, man sollte vor allem nicht mit anderen Mitbewohner/innen sprechen. Das Sprechen mit den Lehrern und den Mitarbeitern vor Ort war erlaubt, sollte allerdings auch auf ein Minimum beschränkt werden. Eine weitere Regel, die es einzuhalten galt, war es, sich in dieser Zeit komplett weiss zu kleiden. Eine Regel, die daher rührt, dass der Geist nicht unnötig (durch Farben) abgelenkt werden soll.  Aus dem gleichen Grund mussten wir auch all unsere elektronischen Geräte, Bücher und Schreibzeug abgeben, um durch diese Gegenstände nicht abgelenkt zu werden oder Dinge schriftlich festhalten zu können.


Der Respekt vor der Herausforderung steigt

Dass ich im Januar 2019 nach Abschluss meines Masters einen Vipassana-Kurs machen wollte, wusste ich schon ungefähr 1 ½ Jahre vorher und ich muss sagen, ich erhoffte mir schon einiges von dem Kurs. Obwohl ich mich schon länger mit Persönlichkeitsentwicklung und Meditation beschäftigte, erwartete ich mir schon einige Aha-Momente und Erkenntnisse, die mich auf meinem Weg der persönlichen Weiterentwicklung ein ganzes Stück weiterbringen sollten.

Je näher der 10-Tages-Kurs rückte, um so grösser wurde aber auch mein Respekt vor dieser Herausforderung, die dort auf mich wartete. Ich wusste, das es gut werden würde und zu keinem Zeitpunkt hätte ich einen Rückzieher machen wollen, denn ich wollte diese Erfahrung machen, doch noch bevor der Kurs losging, freute ich mich schon auf seinen Abschluss.


Was ich erwartungsgemäss fand

Bevor ich gleich auf die 5 Dinge eingehe, die ich im Vipassana fand, mit denen ich nicht rechnete, möchte ich kurz darauf eingehen, was ich fand und auch erwartet hatte.

Zuerst einmal kann ich sagen, dass ich die Stille unglaublich genossen habe, nur mit mir und meinen Gedanken zu sein und keine Ablenkung durch Medien, egal welcher Art oder durch Gespräche zu erfahren. Dieser Genuss verwunderte mich allerdings kein bisschen. Ich wusste schon vorher, dass mir die Stille gefallen werden würde.

Was ich auch genoss, war die viele Zeit des Meditierens und Nachdenkens. Auch das, war keine Überraschung, denn auch im Alltag könnte ich mich irgendwo hinsetzen und eine Stunde meditieren, ohne dass es mir schwerfallen würde. Aber ich muss zugeben eine oder zwölf Stunden zu meditieren, macht natürlich schon einen Unterschied und birgt auch gewisse Herausforderungen.

Nichts destotrotz fand ich vor allem Schönes in meinen Meditationen und bekam tolle Ideen und erlangte für mich wunderbare Erkenntnisse, die ich mir zwar erhofft hatte und irgendwie auch erwartete, die dann in der Realität aber noch viel schöner und bedeutender waren, als ich sie mir letztendlich erhofft hatte.

Was fand ich nun im Vipassana, was ich nicht erwartete?


Folgende fünf unverhoffte Schätze durfte ich aus meiner Vipassana-Meditationszeit mitnehmen:


Sisterhood

Eine Sache, die ich fand, war Sisterhood oder etwas unsexier ausgedrückt: Schwesternschaft.

Ich empfand eine extrem grosse Verbundenheit zu den ungefähr 35 anderen Ladies. Ganz besonders stark war meine Verbundenheit den neun anderen Frauen gegenüber, mit denen ich in einem Block lebte. Mit manchen von ihnen hatte ich, bevor das Schweigen begann, nicht einmal Zeit gehabt zu sprechen. Ich kannte also ihre Stimmen gar nicht. Aber ich kannte ihre Gesichter und zusammenzuwohnen, machte uns auch irgendwie zu einem Team.

Wir putzten mit dem einen Putzmittel, das wir hatten, das Haus, wuschen die Wäsche oder putzten morgens und abends stumm die Zähne nebeneinander. Und manches Mal, obwohl es nicht erlaubt war, gab es Blickkontakt. Man wies sich nonverbal auf eine Kakerlake oder eine riesige Spinne hin, half einander ohne Worte oder traf sich jeden Tag zur gleichen Zeit, tatsächlich völlig unabgesprochen, beim Spazierengehen. Als wir dann wieder reden durften, gab es ein grosses Hallo, viele Umarmungen und Geschichten und die Stille wich freudigen Stimmen und viel Gelächter, was ebenso einfach schön war. Es war eine ganz besondere Verbindung.

In dieser Zeit ist auch eine neue Freundschaft entstanden, nämlich zu Ulrike vom Blog fuckluckygohappy.de, die mit mir und den anderen acht Frauen zusammen im Block 2 lebte. Diese Freundschaft und mit ihr ein Stück dieser Schwesternschaft durfte ich also aus dem Vipassana mit nach Hause in meinen Alltag nehmen.


Wir alle sind schön

Etwas andere was ich fand, war die folgende Erkenntnis, die vielleicht erst einmal nach einer Plattitüde klingt:

 

Schönheit hat viele Gesichter.


Ja, diese Aussage mag platt klingen und vielleicht hat man Sätze, wie diesen im Zusammenhang mit Body Positivity einfach schon zu oft gehört. Aber meiner Meinung nach hat dieser Satz, deswegen nicht an Wahrheit verloren. Für mich fühlte sich dieser Satz noch nie so wahr an, wie jetzt. Ich sah all die ungeschminkten, nackten Gesichter, die man sonst nicht so oft sieht.

Normalerweise bin ich in meinem Umfeld eine der wenigen Frauen, die im Alltag ungeschminkt ist. Weswegen es für mich eine ganz neue Erfahrung war, so viele ungeschminkte Frauen in meinem Alter zu sehen. Durch das Fehlen dieser „Fassade“, die Schminke doch auch irgendwie ist und durch die Nacktheit und Natürlichkeit der Gesichter, offenbarte sich mir eine ganz ursprüngliche und in unserer Zeit doch neue Form von Schönheit, nämliche eine sehr ehrliche.


Ich sah echte Haut mit Fältchen, Narben, Unebenheiten und Unreinheiten, inklusive meiner eigenen und ich fand es schön. Weil wir alle Menschen sind und so etwas nun einmal haben.


Noch dazu kam, dass wir alle aus den verschiedensten Ländern der Welt kamen und dementsprechend ganz unterschiedliche Haut- und Haarfarben hatten. In dieser Vielfalt und den Geschichten, die unsere Gesichter erzählten, sah ich Schönheit und so viel Wahrheit. Für mich bestätigte sich dadurch nicht nur, dass wir alle schön sind, so wie wir sind. Sondern auch, dass wir alle eins sind und uns das Ziel eint, bei uns ankommen zu wollen und ein glückliches Leben zu führen. Das zumindest, habe ich in den Gesichtern gelesen. 


Kleine Freuden

Wo wir gerade bei Schönheit sind. Eine weitere Sache, die ich im Vipassana fand, war die Schönheit in den kleinen Dingen zu erkennen. In unserem Alltag sind wir konfrontiert mit unglaublichen vielen Einflüssen und verlieren deshalb oft den Blick für die kleinen Schönheiten, in der Welt um uns herum. Im Vipassana gab es nicht so viele Einflüsse, weswegen ich besonders aufmerksam meine Umwelt wahrnahm.

Ich beobachtete Käfer und Affen und freute mich riesig darüber, als ich mit Ulrike, einer anderen Kursteilnehmerin und einer Assistenzlehrerin einen männlichen Pfau sah, der drei Pfau-Damen sein Federkleid und einen Tanz präsentierte. Ohne zu reden, aber mit strahlenden Gesichtern freuten wir uns über das Spektakel und beobachteten es eine Weile. Bis uns dann die Lehrerin erwischte und darauf hinwies, dass wir eigentlich schon wieder in der Meditationshalle sein und meditieren sollten. Mir war das egal, ich fühlte mich zwar, wie ein Schulmädchen, das beim Schummeln erwischte wurde, aber dachte mir, wie sehr sich dieser Anschiss für diesen Anblick doch gelohnt hatte.

Jeden Abend bevor die letzte Meditationseinheit anstand, genoss ich den Mond und die Sterne, mit dem Wissen, dass ich bald wieder einen Tag geschafft hatte. Denn obwohl ich nie ans Aufhören dachte, so war es doch so, dass ich mich über jeden Tag, den ich gut überstanden hatte, freute.

Eine weitere kleine Freude war es, wenn ab und zu ein Auto mit lauter Musik vorbeifuhr, denn wie du dir vorstellen kannst, gab es im Vipassana sonst auch keine Musik. Etwas woran man gar nicht mehr gewöhnt ist, wenn Musik doch normalerweise überall für uns verfügbar ist. Jedes Mal also, wenn ich Musik von weit her hörte, erfreute ich mich an diesem kleinen bisschen Zivilisation, die in unser Meditationscenter drang.

Meine letzte kleine Schönheit oder Freude mit der ich diesen Punkt abschliessen möchte, war zu sehen, wie sich andere Mitmeditierende an Dingen erfreuten. Ein Mädel in meinem Alter sah ich immer, wie sie sich an Blumen erfreute und heruntergefallene Blüten mitnahm und sie im Essenssaal auf ihren Tisch neben sich legte und sie freudestrahlend anschaute. Das wiederum hat mich erfreut.

Neben all den kleinen Freuden und Schönheiten, auf die ich eingegangen bin, wie beispielsweise die Natur bewusster wahrzunehmen, ist, sich an der Freude anderer zu erfreuen, für mich eine Alltagsfreude, die wir alle mehr in unser Leben einbinden sollten. Denn, dass du dich am Glück deines Gegenübers erfreust, wird ihn noch glücklicher machen als er sowieso schon ist und das empfinde ich als einen sehr schönen Gedanken.


Genug ist genug

Kommen wir zu meinem vorletzten Punkt, den ich nicht erwartet hatte. Man muss dazusagen, dass es im Meditationscenter Frühstück immer um 06:30 Uhr, Mittag um 11:00 Uhr und einen Tee und dazu ein paar kleine Bananen als letzte Mahlzeit des Tages um 17:00 Uhr gab. Für mich, eine Person, die eine Essstörung hinter sich hat und mittlerweile sehr viel Wert darauflegt, genug zu essen, um niemals wieder in einer Essstörung zu landen, war es schon eine Herausforderung, nicht nur weniger zu essen, sondern auch zu vorgegebenen Zeit. Ich will nicht lügen, abends hatte ich schon manches Mal Hunger. Vor allem, wenn meine Zimmernachbarin wieder ihr Lemongras-Mückenspray auflegte, was mich einfach zu sehr an Thai-Curry erinnerte.

Doch auch aus dieser Erfahrung lernte ich etwas für mich. Zum einen entwickelte ich eine ganz neue Dankbarkeit für das Essen, das vor mir auf dem Tisch stand und zum anderen, und das war der noch viel bedeutendere Aspekt für mich, erkannte ich, dass ich in der Vergangenheit zu vorschnell nachgenommen hatte, ohne meinem Körper die Zeit zu geben, meinem Hirn zu signalisieren, dass er eigentlich schon satt ist. In meiner Sorge zu wenig zu essen, hatte ich also zu wenig genau darauf gehört, wann mein Körper genug hatte. Das verstand ich jetzt.

Ein weiterer wichtiger Punkt war, dass ich in der Vergangenheit oftmals viel zu spät abends gegessen hatte, einfach deshalb, weil mein Freund und ich lange arbeiteten und dann, wie wir es nannten, zu „spanischen“ Zeiten assen, um dann eine halbe bis Stunde später schlafen zu gehen. Keine so gute Idee.

Zusammengefasst kann ich zu diesem Punkt also sagen, dass ich im Vipassana lernte, mich nicht nur darum zu kümmern, dass mein Körper genug Nahrung bekommt, sondern noch mehr auf mein Sättigungsgefühl zu hören und meinen Körper nicht direkt vor dem Schlafen gehen, mit einem zu vollen Magen zu belasten. Klingt vielleicht für viele nach keinen bahnbrechenden Erkenntnissen, aber für mich mit meiner Vergangenheit, sind sie echte Game Changer.


Loslassen & vertrauen

Kommen wir zu meinem letzten unverhofften Vipassana-Schatz. Während des Vipassanas durfte ich nicht nur Vertrauen, sondern auch loslassen und im Moment leben, üben.

Ich durfte darauf vertrauen, dass die Schmerzen davon, den lieben langen Tag zu sitzen, ab dem dritten Tag verschwinden würden, was sie tatsächlich taten. Ich durfte darauf vertrauen, dass ich pünktlich von meinen Powernaps wachwerde. Und das ohne Wecker. Ich vertraute also auf meine Zimmernachbarinnen und ihre Wecker, aber vor allem auf meine innere Uhr. Und was soll ich sagen? Es hat immer funktioniert.

Ich konnte loslassen und mich entspannen und wunderbare Flowzustände erleben, die für jeden etwas anderes bedeuten und in meinem Fall mit zarten „Kribbel-Schauern“ am ganzen Körper am besten zu beschreiben sind.

Ich durfte die Kontrolle abgeben, mich nur auf mich konzentrieren, die Aussenwelt weitestgehend ausblenden und einfach nur im Moment leben und vor allem meditieren, schlafen, essen und noch ein wenig putzen und die Natur geniessen.

Unglaublich erdend, unglaublich intensiv und unglaublich lehrreich.



Das waren meine 5 Schätze aus dem Vipassana, die ich so nicht erwartete. Ich hoffe, du konntest etwas aus diesem Beitrag mitnehmen und wenn es nur ist:


Uns alle eint das Ziel, bei uns ankommen und ein glückliches Leben führen zu wollen.


Solltest du dir überlegen, einen Vipassana-Kurs zu belegen, dann kann ich es dir nur wärmstens ans Herz legen. Denn ich bin mir sicher, für jede/n hält diese Erfahrung ganz persönliche Schätze bereit.


Hättest du Interesse an einem Vipassana-10-Tages-Kurs? Oder hast du vielleicht auch schon einen Vipassana-Kurs gemacht? Wenn das der Fall sein sollte, was hast du daraus mitgenommen?


Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen.


Alles Liebe,

Deine Anna